Mörder
Mord verjährt nie
Personen mit Namen
werden von Personen mit Namen umgebracht
Personen mit Namen erzählen von
Ermordeten Personen mit Namen
Im Namen des Gesetzes werden
Personen mit Namen für ihr Verbrechen bestraft!
Völkermord kommt nie in die Jahre
Namenlose werden von
Namenlosen Mördern
Im Namen des Gesetzes umgebracht
Welches Gesetz?
Karin Allwermann
Let There Be Light!
Creation begins with the
Heavens and the earth.
And God said, “Let us make man in
Our image, after our likeness, to
Subdue the planet.”
Susanne Weppner-Belz
Verwendete Bibelstellen aus Genesis 1,1; 1,3; 1,26; 1,28 nach der English Standard Version (ESV), abgerufen über BibleGateway.com; stark gekürzt und in Teilen sprachlich angepasst.
Ein Text zum Thema „Chaos“.
Licht und Schatten – Die perfekte Familie
Auf der Sonnenseite des Lebens zu gehen, das wünschte sich auch Karin.
Mit ihren 37 Jahren hatte sie viele Träume erreicht: Einen Studienabschluss, einen Mann und ein eigenes Haus.
Doch dann passierte etwas, womit sie nicht gerechnet hatte. Sie wurde schwanger und die vorgeburtlichen Untersuchungen zeigten, dass sie einen Sohn mit einer Trisomie 21 gebären würde. Ihre Ehe wurde zu einer Belastungsprobe.
Immer wieder drängte Sven Karin dazu, eine Abtreibung vornehmen zu lassen, sie wollte nicht. Als sie im achten Monat war, begann sie, sich Gedanken über die Zukunft zu machen. Was wird sein, wenn die Herausforderungen zu groß werden? Wird Sven mir beistehen oder lässt er mich am Ende allein mit der Situation? Sie hatte schlaflose Nächte, die Sonne ging auf und wieder unter, ohne, dass Karin ein Auge zumachte.
Einerseits war sie froh darüber, als bei ihr die Wehen einsetzten und Sven sie ins Krankenhaus fuhr, andererseits fürchtete sie sich davor, ihr Kind nachher im Arm zu halten. Stunde um Stunde verging, die Wehen kamen und gingen, wurden stärker und schwächten wieder ab. Elf Stunden lag Karin auf dem Bett und schrie vor Schmerzen. Endlich der erlösende Kindesschrei. Schweißgebadet schloss sie die Augen und öffnete sie erst dann wieder, als sie spürte, wie ihr Säugling ihr auf den Bauch gelegt wurde. Sie sah in sein Gesicht, die Augen waren weit aufgerissen, die Nase rundlich, die Wangen ein wenig eingefallen. Sie drückte ihn an ihre Brust und wischte sich eine Träne aus ihrem Gesicht, lauschte dem regelmäßigen Atem ihres Sohnes.
„Er ist so schön“, sagte sie zu der Hebamme.
„Draußen wartet ihr Mann, soll ich ihn holen?“
„Ja, bitte.“
Die Tür ging auf und Sven trat herein.
„Schau dir mal unser kleines Kind an.“
„Ach ja“, sagte Sven, würdigte seinen Sohn aber keines Blickes. „Wann kannst du nach Hause?“
Karin fiel auf, dass er „du“ und nicht „ihr“ gesagt hatte, sie war jedoch zu erschöpft, um sich zu streiten. „Ich würde gern noch einen Tag hier bleiben. Bin zu erschöpft, um schon heute in den Alltag zurückzukehren.“
„Okay, mach das. Wir finden schon eine Lösung für alles.“
So fuhr Sven nach Hause und ließ sie allein. Am nächsten Tag sollte er sie gegen Mittag abholen, kam aber erst um 16 Uhr.
„Entschuldige, ich habe so lange im Internet recherchieren müssen. Da gibt es jede Menge Adoptionsagenturen.“
Karin starrte ihn an. „Kommt gar nicht infrage. Das ist unser Kind!“
Sven wandte sich ab und sagte nach einer Weile: „Okay, ich gebe uns ein paar Monate und wir schauen, wie sich alles entwickelt. Aber sollte er zu einer Last werden, garantiere ich dir nicht, dass es mit uns weitergeht.“
Karin brach in Tränen aus. Sven legte den Arm um sie und zog sie an sich.
„Ruhig, meine Liebe, alles wird gut.“
Wie konnte er nur so reden? Merkte er nicht, wie sehr er sie verletzte? Dunkle Schatten schienen sich über ihre Ehe zu legen.
Monate vergingen und Simon, wie sie ihren Sohn genannt hatten, entwickelte sich prächtig. Es schien sich um eine leichte Form des Gendefekts zu handeln. Er hatte einige Probleme mit dem Greifen, sodass er seinen Lieblingsstoffball, mit dem er im Kinderwagen immer spielte, nicht immer gleich zu fassen bekam.
Sven schien sich mit dem Gedanken, einen Sohn mit Unterstützungsbedarf zu haben, abgefunden zu haben. Auch bei ihm wuchs die Liebe zu seinem Kind, das immer mehr lachte als zu weinen. Bereits als Sven sich über das Gitterbettchen beugte, begann Simon zu lächeln.
Im Alter von zwei Jahren gaben Karin und Sven Simon in eine Regelkita mit einer sonderpädagogischen Kraft. Die Ehe von Karin und Sven schien sich zu entspannen, sie kamen sich wieder näher, Sven erkundigte sich, nachdem er von seiner Arbeit kam, wie Karins Tag gewesen sei, und auch die Zärtlichkeiten waren wieder da.
Der Augenblick von Simons Eintritt in die Kita war der Punkt gewesen, an dem ihre Ehe wieder bergauf ging. Simon wurde in der Kita gut gefördert, seine Motorik besserte sich dank Ergotherapie und auch sprachlich machte er Fortschritte. Er sei sehr kontaktfreudig und habe seine Rolle in der Gruppe gefunden.
„Siehst du“, sagte Karin eines Montagnachmittags zu Sven. „Und du hast dir solche Gedanken gemacht.“ „Verzeih mir, mein Schatz, ich war einfach überfordert.“
Es war wieder Licht in ihre Beziehung gekommen. Die Schatten hatten sich verzogen.
Alexandra Zylka
Licht und Schatten
Das trübe Licht eines grauen Vormittagslässt mich schauern.
Die Wolken sind kaum vom trüben Nebel im Tal zu unterscheiden.
Der Herbst versucht, alle Farbe aus der Landschaft zu saugen.
Wo sind die hellen Lichter des Sommers?
Das Glühen der Perseiden an lauen Abenden?
Da – vor meinen Füßen versucht noch eine kleine blaue Blüte,
Aufmerksamkeit zu erhaschen.
Auch am Baum, etwas weiter weg, sind – bei genauem Blick –
rote Töne an den Blättern zu erkennen.
Aber die Menschen, denen man begegnet, sie ziehen die Kragen hoch.
Versuchen wieder, pelzgesäumte Mäntel zu tragen, und grämen sich der Zeiten.
Denn die Meldungen, die uns entgegenschlagen, sind deprimierend:
Frankreich in der Krise.
Der Russe droht mit Drohnen.
Im Nahen Osten werden wieder Untergangsszenarien für die anderen gepflegt.
Und zuhause:
Wir müssen mehr leisten, den Gürtel enger schnallen,
wenn der prall gefüllte Beutel entgegen der systemimmanenten Versprechen
nicht alles zusammenhält.
Unsere Kinder sollen schnellstmöglich wieder zur Armee,
propagiert von denen, die die Wehrpflicht abgeschafft hatten.
Die Abgasanlagen dürfen wieder qualmen;
Zurückhaltung geht nicht mehr.
Im Sommer sah das Ganze noch deutlich netter aus.
In gleißendem Licht, die bunte Welt betonend,
wirkt alles doch viel freundlicher, schöner, himmelhochjauchzend.
Was sich im Schatten verbirgt, das geht unter.
Das ist nur dann erkennbar, wenn man das helle Licht ausblendet.
Andreas Belz
Das Chaos und der Lehrer
Vor dem Chaos steht der Lehrer und fordert es auf, mehr Ordnung zu halten. Und das Chaos versucht, mehr Ordnung zu halten.
Der Lehrer ist jedoch noch nicht zufrieden und sagt: „Streng Dich mehr an, Deine Versuche sind unzureichend.“
Und das Chaos wird in seinem Bemühen, dem strengen Lehrer Folge zu leisten, immer unberechenbarer in seinem Verhalten. Also wird der Lehrer noch strenger und befiehlt dem Chaos, sich zur Strafe in die Ecke zu stellen und über sein Benehmen nachzudenken.
Doch anstatt Einsicht zu zeigen, gebärdet sich das Chaos immer wilder und wütender. Und weil der Lehrer ein guter Lehrer ist, fragt er das Chaos, was er tun kann, damit sich das Chaos so verhält, wie er es wünscht. Und das Chaos antwortet: „Gar nichts, es liegt nicht in meiner Natur, Ordnung zu halten.
Ich bin das Chaos.“
Und weil der Lehrer ein guter Lehrer ist, überlegt er, wie er dem Chaos helfen kann. Und dabei erkennt er, dass er es ist, der sich in seiner Einstellung zum Chaos ändern muss. Das Chaos ist nicht zu ändern. Es ist das Chaos.
Das Benehmen des Chaos ist sinnlos, weil es das Chaos ist. Es ist sinnlos, einen Sinn in einem Verhalten zu suchen, das keinen Sinn ergibt.
Das zu versuchen, ist absurd!
Also nimmt der Lehrer, weil er ein guter Lehrer ist, das Chaos bei der Hand und sagt: „Wir werden demnächst freundschaftlicher miteinander auskommen. Du, das Chaos, bist nicht zu ändern.
Das akzeptiere ich, lebe Du Deine einzige Natur und ich lebe mit Dir in meiner Natur, die vielfältiger ist als Deine, aber bedenke:
ich gehöre Dir nicht!“
Karin Allwermann
Zuhause?
Wie bin ich hierhergekommen? Jeden Tag sehe ich fremde Leute. Sie kommen in mein Zimmer, waschen mich, ziehen mich an. Ich bin ihnen ausgeliefert. Dreimal am Tag bekomme ich etwas zu essen. Sie stehen neben mir und stecken mir den vollen Löffel in den Mund. Ich verziehe das Gesicht. Es schmeckt mir nicht, doch das ist ihnen egal. Sie machen weiter, bis der Teller leer ist. Mir ist das zu viel, so viel kann ich doch nicht essen. Ich presse die Lippen zusammen. Eine Weile stehen sie noch neben mir, dann stellen sie den Teller wieder auf den Wagen und gehen.
Wie lange bin ich mit der anderen Person schon in einem Zimmer? Ich kenne sie nicht. Wer ist sie? Da geht die Tür wieder auf, ein Mann kommt herein. Er lächelt mich an, ich lächele zurück. Oder nicht? Strahlen meine Augen? Kann ich überhaupt lächeln? Er hebt mich hoch, Hilfe, was macht er mit mir? Da steht ein Stuhl auf Rädern, er setzt mich rein und fährt mit mir irgendwo hin. Ich schaue mich um und sehe die weißen Wände, hie und da hängt ein Bild. Ich sehe geschlängelte Linien auf einem Blatt: Diplom. Was heißt das? Ich werde in ein anderes Zimmer gefahren. Es ist so voll und so laut hier. Die Leute lachen und klatschen zur Musik, einige tanzen. Ach, wo ist nur mein Holger? Wir haben damals auch so getanzt, damals in Konstanz, vor 55 Jahren. Ich bin jetzt 80. Doch wo bin ich und wo ist unser schönes Haus? Wir waren doch zusammen auf dieser schönen Wiese. Ich habe Durst, doch ich kann es nicht sagen. Der Pfleger hat mir den Rücken zugedreht. Ich summe vor mich hin, er reagiert nicht. Ich schlage mit der Hand auf mein Knie, doch er dreht sich nicht um. Ich sage: „Wa…, Wa…“, da endlich schaut er mich an und kommt zu mir. „Was möchten Sie, Gisela?“ Ich zeige Richtung Küche. „Essen gibt es erst um 5.“ Ich tippe auf meinen Hals und zeige dann auf meine Lippen. „Soll ich Sie eincremen?“ Ich schüttele den Kopf. Da geht jemand mit einer Tasse und ich deute auf ihn. „Ah, Sie haben Durst. Ich hole Ihnen was.“ Er kommt mit einem Glas Beruhigungstee. Ich möchte etwas Kaltes haben, doch ich kann es ihm nicht sagen. Also trinke ich, denn ich habe Durst. Es ist leiser geworden und leerer. Eine Weile bin ich noch in diesem Raum, dann werde ich zurückgeschoben.
Ah, jetzt bin ich wieder in meinem Zimmer. Die alte Frau neben mir schläft. Auf ihrem Nachttisch steht noch der Teller mit dem Mittagessen, daneben ist ihr Tablettendöschen und eine geschlossene Flasche Mineralwasser. Ob die wohl keinen Hunger hatte? Ein Glas ist noch halb voll, in der Dose, wo „Mittag“ steht, liegen zwei Tabletten. Es ist Viertel vor 5, ich sehe es auf der großen Uhr. Im Hintergrund läuft leise Klassik, Holger und ich tanzen Walzer.
Plötzlich spüre ich eine Hand auf meiner Schulter. Sie schüttelt mich unsanft, ich will sie wegschlagen, doch meine eigene Hand gehorcht mir nicht. Ich öffne die Augen und sehe die Pflegerin mit den schwarzen Locken, die mag ich nicht. „Gisela, es gibt Abendbrot.“ Sie kommt mit einem Teller mit Baguette-Stücken neben mich. Wie soll ich das denn essen? Die Stücke sind doch viel zu groß. Sie steckt mir eins davon in den Mund, ich verschlucke mich. „Sie müssen schon kauen“, sagt die Frau. – Ach, diese Gisela. Immer dauert bei ihr alles so lange, dabei habe ich doch keine Zeit. – Wo ist nur der nette Pfleger? Mein Mund ist trocken, die Frau gibt mir das nächste Stück, aber jetzt reicht sie mir auch ein Wasserglas. Ich trinke, das tut gut. Nach einer Ewigkeit bin ich fertig. Ich schließe erschöpft meine Augen und höre das Geklapper von Geschirr. Die Tür wird aufgemacht und dann zugeschlagen. Stille. Die Tür geht wieder auf, ich höre Schritte, spüre Hände an meinem Körper, sie ziehen mich aus und ich merke etwas Nasses, Warmes auf meiner Haut. Ich werde gewaschen. Es fühlt sich angenehm an. Ich blinzele, da ist der nette Pfleger, endlich. Ich schließe wieder die Augen und sehe Holger. Er reicht mir die Hand und fragt: „Darf ich bitten?“
Alexandra Zylka
Licht aus, Spot an!
Geblendet starrt er in gleißendes Licht
Blind für seinen leblos schwarzen Schatten
Inszeniert er seine Lichtgestalt
Auf der Bühne
Alle Augen auf ihn
Entsetzlich begeisternd
Unbemerkt aus seiner verblendeten Warte
Funkelt im Halbschatten lebendiger Widerstand
Flüchtige Schattengebilde entfachen daraus
Von neuem ein weites Licht
Der Verfolgerspot wird
Endlich seiner hypnotischen Wirkung beraubt
Karin Allwermann
Depressionsmelodie
Seitdem mein Morgenstern verloren ging,
meide ich den Blick in den Spiegel.
Überraschend angenehm lebt es sich,
für andere durchsichtig zu sein.
Nun könnte ich mich ganz dem Schweigen
der Erde widmen. Oder die Wohnung nach
Spinnennetzen absuchen, vielleicht auch nur
den Regentropfen lauschen.
Durchhalten ist angesagt, das Alter annehmen.
Alles ist vergänglich, wir sind doch alle Bilder
mit kleinen Fehlern. Ich greife nach Farben,
male mich an, schiebe die Probleme zur Seite
und werde irgendwann den Durchhalteweg finden.
Ulrike Schmidt
Chaos im Kopf
Chaos im Kopf
mein Gleichmut
Gespielt
Lähmende Angst
Verwandelt sich in Wut
Logik im Kopf
Sinnlos meine Wut
Strategien
Verwandeln
Wut in Mut
Karin Allwermann
Talfahrt
Atempause – Zwischenhoch.
Talfahrt im Moment gestoppt,
kleiner Sieg, Schatz in der Hand.
Aufmerksamkeit gewonnen,
Publikum unter Kontrolle.
Moment in der Sonne,
Applaus nicht von Dauer.
Kipppunkt erreicht.
Schatten ergreift dich –
aus und vorbei.
Heldenreise, Götterkind –
wann hat sich das Blatt gewendet?
Erzählst die Geschichte
in Dauerschleifen,
solange, bis du sie glaubst.
Gewonnen, zerronnen.
Kannst nichts halten.
Nur fesseln, nicht binden.
Dialoge abgeschnitten,
Türen schließen sich.
Glanz verloren,
Charme gestorben,
Oberfläche blendet nur.
Fragmentiertes Ich.
Maske zerbricht.
Ohne Kontrolle.
Kollaps erlitten.
Moment der Ruhe
im Auge des Sturms.
Wie weiter jetzt?
Scherben flicken,
Make-up richten,
Bühne wechseln,
nächste Runde.
Alter Zirkus, neues Publikum.
Atempause – Zwischenhoch.
Talfahrt im Moment gestoppt,
kleiner Sieg, Schatz in der Hand.
Aufmerksamkeit erlangt,
Publikum unter Kontrolle.
Moment in der Sonne,
niemals von Dauer.
Kipppunkt erreicht.
Schatten ergreift dich –
aus und vorbei.
Erinnerungen, vergangene Größe.
Lügenmärchen, Selbstbetrug.
Wann hat sich der Pfad gewendet?
Falscher Pfad –
von Anfang an.
Ereignishorizont
längst überschritten,
zu spät, das Ruder rumzureißen.
Rad des Schicksals
lässt sich nicht mehr wenden.
Ticken der Uhren,
Rieseln der Zeit.
Abwärtsschlittern.
Unter den Füßen
zerberstendes Eis.
Ohne Standpunkt,
nicht verankert,
Strudel zieht und saugt.
Schiff versinkt in tiefste Tiefen –
Stille und Bedeutungslosigkeit.
Glanz verloren,
Charme gestorben,
falsches Selbst
zerspringt so leicht.
Genauso leicht wie Spiegelglas.
Susanne Weppner-Belz
Gewaltig pflügen sie die Meere,
durchstreifen jeden Kontinent.
Schwere Fontänen in den Wind sich heben,
und Möwen den Geleitschutz geben.
Lautlos trifft der Pfeil des Todes,
blutig hinterlässt er seine Spur.
Meere Trauerfahnen in sich tragen,
und die Klagelaute nach dem „Warum nur“ fragen.
Cornelia Biermann
Verlorene Träume
Oh, ihr holden Träume,
Wo seid ihr? Ich finde euch nicht
In dem undurchsichtigen, dunklen Lebensdickicht.
Oh, ihr hehren Träume,
Oder habe ich euch im Laufe der Zeit verloren?
Dröhnt es fragend in meinen Ohren.
Oh, ihr holden, hehren Träume,
Solltet ihr mich gar hassen
Und habt mich deswegen verlassen?
Oh, ihr meine holden, hehren, silbergoldglänzenden Träume,
Wart ihr am Ende doch nichts weiter als Schäume?
Elke Brüninghaus
Ein Rentner
Ein Rentner zeigt sich sehr galant,
ist vital und amüsant.
Beweist Köpfchen, Charme und
auch Interesse.
Auf Witwen-Fang glänzt er
durch Raffinesse.
Ulrike Schmidt
Eiszapfen
Der Ostwind lässt die Flocken tanzen.
Bringt Eis und Schnee in unser Land.
Zapfen hängen eisig von den Bäumen
und lassen von weißen Winternächten träumen.
Cornelia Biermann
November-Blues
Die Buhnenkette ragt weit ins Meer.
Möwen hocken darauf,
sie lachen mich aus.
Der Himmel über mir
zeigt sich grau und zerfranst.
Die Wellen rollen sich glanzlos
und träge an den Strand.
Wie eine Statue stehe ich im Sand,
halt mein müdes Herz fest in der
Hand.
Nun hat das Lachen der Möwen
den Wind aufgeschreckt.
Sein sanfter Atem hat verborgene Gefühle erweckt.
Doch unaufhaltsam tickt
der Zeiger meiner verbleibenden Zeit.
Ich fühle mich in einem Labyrinth
der Unwirklichkeit.
Verwirkt die Leichtigkeit
vergangener Tage.
Ich wandere durch die wortlose Stille,
als das Licht des Tages in den Abend übergeht.
Ulrike Schmidt
Winterspaziergang am Berger See
Tagelang ist Schnee gefallen in dicken, schweren Flocken. Nun ist der Abendhimmel wieder weit und klar. Langsam und mit Vorsicht setze ich meine Schritte; unter den Füßen knirscht das überfrorene Weiß. Innehaltend lasse ich meinen Blick schweifen. Ein Hauch von Eis bedeckt die Randbereiche des nächtlichen Sees, auf dessen glatter Oberfläche sich die Lichter der am gegenüberliegenden Ufer stehenden Häuser spiegeln. Die Temperaturen sind in den zweistelligen Minusbereich gefallen und klirrende Kälte kriecht mir in alle Knochen. Der Winter hat die Herrschaft übernommen in jeder Beziehung und ich stehe hier allein im Sternenlicht.
Susanne Weppner-Belz
In den Nächten
In den Nächten knirscht das Eis.
Der Winter ist gekommen.
Hat die Farbe grün
von Strauch und Baum genommen.
Weiß, weiß, weiß mit Sternenglanz
leuchtet uns entgegen.
Leise fällt der Flockentanz
nun auch auf unseren Wegen.
Cornelia Biermann
Wahl – Wal
Wir haben die Wahl.
Oder jagen wir den Wal?
Es laufen alle einer Wunschvorstellung nach.
Auch bei unseren Wahlen.
Wir erwarten das Beste und fürchten das Schlimmste.
Wir wählen das, was uns die größte Beute verspricht.
Wir könnten auch einen weißen Wal jagen.
Wahrscheinlich wäre das einfacher.
Den weißen Wal gibt es eventuell.
In einer Welt von Kompromissen
wird die singuläre Beute nicht zur Strecke gebracht.
Aber die beste aller Welten steht doch als Ziel vor Augen.
Und es steht zu hoffen, dass die Verblendung
mit dem Kompromiss zwar unzufrieden ist,
aber für das große, hehre Ziel nicht alles vernichtet.
Andreas Belz
Herbstgedanken
Silbern umrandet perlen die Tage.
Ein magisches Spiel
zwischen
Leben, Glück und Trauer beginnt.
Es ergießt sich durch die
graue Zeit.
Stumm verliert sich das Ich.
Unbeirrt,
wie ein durch die Jahre
mürbe
gewordener Faden,
löst es sich einfach auf.
Ulrike Schmidt
Rampenlicht
Wir leben auf dünnem Eis,
das uns dennoch trägt.
Wir laufen auf Eierschalen,
die nicht brechen.
Wir tanzen auf dem Drahtseil,
doch die luftige Höhe ist nur Illusion.
Tritt einen Schritt daneben
und du stehst auf festem Grund.
Susanne Weppner-Belz
Gärten der Sprache
In den Gärten der Sprache
bleibt Gedachtes nicht ungesagt.
Worte bekommen Flügel und haben die Gabe,
sich in die Herzen der Menschen zu setzen.
Etwas zu bewegen, und sei es auch nur:
ein Lächeln auf Gesichter zu zaubern.
Cornelia Biermann
